Professor for Interactive Microbiome Research, Medical University of Graz
Prof.in DIin Dr.in Veronika Schöpf
Interview am 21.01. 2016
Liebe Frau Prof.in Schöpf, Sie sind vor einem Jahr nach Graz an die Karl-Franzens-Universität gekommen. Wie war Ihr erster Eindruck von der Stadt und wie war Ihr erster Eindruck von der Universität?
Schöpf: Mein erster Eindruck von der Stadt - und ich war davor ein einziges Mal in meinem Leben in Graz - war: Wie klein die Stadt doch ist und das als zweitgrößte Stadt Österreichs. Graz hat von Beginn an einen sehr gemütlichen Eindruck gemacht. Vor meinem Start in Graz war ich sechs Jahre in Wien und davor vier Jahre in München. Mich hat Graz sehr stark an meine Heimatstadt Innsbruck erinnert. Sehr toll fand ich von Anfang an das Klima, das war genau so, wie ich das im Vorfeld recherchiert und gelesen habe: Das mildeste Klima Österreichs.
An der Uni war der erste Eindruck die extreme Freundlichkeit - vielleicht auch im Unterschied zu verschiedenen medizinischen Universitäten, an denen ich das anders erlebt habe - und ich war vom Selbstverständnis der Wissenschaftler sehr angetan, dass die Wissenschaft ein Beruf ist und dass man sich für das Fachgebiet begeistern und Neues machen kann.
Sie erforschen im Rahmen integrativer Konzepte die Einsatzmöglichkeiten von Neuroimaging für personalisierte Therapien. Dabei haben Sie sich auf den Geruchssinn spezialisiert. Ihre Professur ist auch im Rahmen des Forschungsverbundes BioTechMed der drei großen Grazer Universitäten etabliert. Ist die Eingewöhnungsphase schon abgeschlossen?
Schöpf: Bis alles wirklich läuft, dauert es natürlich, das unterschätzt man am Anfang. Bis man die richtigen Angestellten gefunden hat, die richtigen Kooperationspartner:innen und bis die richtigen Projekte gestartet werden können, das nimmt schon seine Zeit in Anspruch. Die Projekte, die ich starten konnte, sind natürlich interdisziplinär und werden mit mindestens zwei Universitäten gemeinsam durchgeführt.
Sind Ihnen in der Startphase auch bürokratische Hürden untergekommen?
Schöpf: Für mich selber war das kein Problem. Aber für Angestellte, die aus dem Ausland kommen, kann das der absolute Horror sein, diese bekommen kaum Unterstützung in Sachen Visum und Aufenthaltstitel. Am Beispiel einer Postdoc-Absolventin aus Indien musste ich erfahren, dass man auf sich alleine gestellt ist und sich alle Informationen selbst beschaffen muss. Wie es auch anders ginge, zeigt das „Welcome Center" der TU Graz.
Kennen Sie mittlerweile auch Angebote der Stadt Graz oder des Landes in diesem Bereich?
Schöpf: Mir ist da ehrlich gesagt nichts bekannt.
Auch nicht der „CINT, Club International" der Stadt Graz?
Schöpf: Stimmt, das habe ich probiert. Dieser Club hat dann der neuen Mitarbeiterin ein paar Links und Adressen geschickt. Die hatten wir selbst auch recherchiert. Ich hätte mir da viel mehr ganz konkrete und persönliche Unterstützung erwartet.
Was waren denn die ersten absolut positiven Eindrücke?
Schöpf: Es ist natürlich fein, dass die Wege überallhin sehr kurz und meine Wirkungsstätten mit dem Fahrrad gut erreichbar sind. Das ist besonders wichtig, weil das öffentliche Verkehrsnetz inakzeptabel ist. Man muss praktisch immer zum Jakominiplatz fahren, Tangentiallinien fehlen völlig und das kostet Zeit. Viele Busse fahren auch nur alle 15 oder 20 Minuten und in der Nacht gar nicht. Ich bin das nicht gewohnt von Städten wie Wien oder München.
Und auf wichtige Dinge wie die Barrierefreiheit hat man in der Provinz offenbar völlig vergessen. Nicht einmal der Eingang meiner eigenen Universität ist wirklich barrierefrei, viele Busse sind nicht entsprechend ausgerüstet. Es ist schon mühsam.
Ist Wien in Sachen öffentlicher Verkehrsmittel besser organisiert als München?
Schöpf: Meiner Erfahrung nach hat Wien die besseren öffentlichen Verkehrsmittel und München hat die wesentlich besseren Radwege.
Und was sollte in Graz noch verbessert werden?
Schöpf: Die Öffnungszeiten der Geschäfte entsprechen nicht einer Bevölkerung des Jahres 2016. Die Geschäfte schließen teilweise um 18 Uhr, die Post hat mittags geschlossen. Wann gehen die Menschen hier einkaufen und wann holen sie ihre Post?
Es gibt auch wenig Angebote für Menschen, die keine Studenten sind und keine Familie haben oder planen. Wo sind die Leute um die 30 - sind die alle kaserniert in Gleisdorf? Wo sind in Graz die Bobos anzutreffen?
In Geidorf zum Beispiel - Sie arbeiten und wohnen ja in „Bobo-City"...
Schöpf: Das hab‘ ich mir auch gedacht, aber noch nichts davon bemerkt. Es fehlt offenbar auch das Angebot für diese Menschen. Für die Studierenden gibt es viele Angebote. Für Ältere gibt es nicht einmal ordentliche Bars. An richtigen „Campus-Cities" ist das übrigens anders - dort werden alle als Teil des Kollektivs verstanden, die Studierenden wie die Professor:innen, und da ist dann das Angebot entsprechend.
Wenn ich das mit Utrecht, einer vergleichbar großen Universitätsstadt in den Niederlanden vergleiche - da ist am Wochenende die Hölle los...
In Graz habe ich oft das Gefühl, dass sich die Einheimischen, die ja schon immer da waren und einander schon ewig kennen, mit der eigenen Gemütlichkeit zufrieden geben. Und ich mag‘s eben nicht gemütlich, was natürlich auch an meinem Naturell liegt.
Es ist sicherlich nicht ideal, wenn viele, die hier schon studiert haben, in dieser Stadt auch Lehrende werden und nie für längere Zeit hinausgekommen sind. Man sollte es meines Erachtens nicht unbedingt fördern, dass jemand, der hier ein Doktorat gemacht hat, hier auch noch eine Postdoc-Stelle erhält. Wissenschaftliche Diversität lebt von unterschiedlichen Meinungen und Erfahrungen.
Wie sehen denn Ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Instituten und mit der Wirtschaft, beim Aufstellen von Drittmitteln, aus?
Schöpf: Seit ich nach Graz gekommen bin, habe ich viele tolle neue Leute kennengelernt. Es hat auch schon mehrere Gespräche mit Unternehmen gegeben; da sind dann manche Unternehmer überrascht, wie restriktiv die Rahmenbedingungen an Universitäten sein können. Aber das ist kein spezielles Grazer Phänomen.
Wenn nun geplant ist, Forscher:innen zu einer „Scientific Community" zusammen zu holen, was müsste man dabei aus Ihrer Sicht besonders beachten?
Schöpf: Wichtig ist, dass es nicht das tausendste sinnlose und redundante Netzwerk wird. Es gibt schon sehr viele funktionierende Communities und Community-Websites, die Wissenschaftler auch jeden Tag nutzen müssen. Da scheint es mir sinnvoll, sich an solch funktionierende Sites dranzuhängen bzw. sich dort zu integrieren. Den ganzen „Social-Media-Hype" könnte man auch einmal ausblenden und reale Begegnungen und Aspekte in den Vordergrund stellen.
Neben Ihrem Forscherinnen-Leben sind Sie auch als Sprecherin und Sprachtrainerin selbständig tätig. Wie lässt sich das vereinbaren?
Schöpf: Das macht sehr viel Freude und ist ein ganz anderes Arbeiten und eine andere Art von Kreativität. Die Wissenschaft ist eine „Kopfgeschichte", bei der Stimme kauft der Kunde ein Produkt und das ist genau definiert. In Randbereichen ergeben sich dann immer wieder Projekte, die mit einem angewandten wissenschaftlichen Bereich zusammenpassen. Das führt dann auch dazu, dass man lernt, wissenschaftliche Informationen auch für Nicht-Wissenschaftler:innen und ein breiteres Publikum verständlich aufzubereiten.
Was würden Sie denn an Zeit und Themen für eine „Graz Scientific Community" einbringen wollen?
Schöpf: Ich bringe mich da gerne ein - wenn ich hier bin, tu‘ ich auch gerne etwas! Es geht dabei gar nicht so sehr um meine Bedürfnisse und Interessen, sondern um die Bedürfnisse der Grundgesamtheit. Von den Themen her finde ich es grundsätzlich wichtig, dass die Stadt sich für ihre Wissenschaftler:innen und Forscher.innen aktiv zu interessieren beginnt.
Das gilt auch für die Medien in diesem Land. Und, etwa im Vergleich zu Wien, interessiert sich hier offenbar niemand dafür, was wir machen. Da macht ja die Tiroler Tageszeitung mehr Interviews mit mir. Ein Beispiel: Die Uni Graz hat eine sehr schöne Veranstaltung gemacht, bei der sie alle neuen Professoren vorgestellt und willkommen geheißen hat - da war überhaupt niemand von den steirischen Medien dabei. Das verstehe ich nicht ganz, sieht man sich doch selbst sehr gerne als die Universitätsstadt.
Ist es eher die Stadt, die für mehr und bessere „Aufmerksamkeitskanäle" sorgen sollte oder ist es eher die Universität mit ihrer Presse- und Kommunikationsabteilung, die sich da intensiver engagieren sollte?
Schöpf: Da sollte auf jeden Fall die Stadt selbst aktiver sein. Der Universität kann man da nicht den gesamten PR-Auftrag übertragen. Die Uni Graz zum Beispiel macht ohnehin sehr viel. Das Uni-Radio und die Facebook Seite der Grazer Uni sind schon sehr gut gemacht. Meiner Beobachtung nach gibt es aber kaum eine wirkungsvolle Kommunikation zwischen der Stadt Graz und der Uni Graz, die sich dann gegenseitig pushen und promoten. Als Forscherin hat man das Gefühl, dass man von der Uni sehr unterstützt wird, dass es der Stadt aber ziemlich egal ist, was man macht.
Das heißt, es fehlen Ihnen für ein breiteres Publikum sichtbare Formate der Stadt selbst, in denen vermittelt wird, was an den Universitäten passiert, und in denen auch ein gesellschaftlicher Diskurs ablaufen kann?
Schöpf: Ja, so etwas fehlt meines Erachtens.
Wie ist Ihre grundlegende Erfahrung in der öffentlichkeitswirksamen Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse? Ist das eher eine Disziplinen- oder eine Generationenfrage?
Schöpf: Das hängt meiner Erfahrung nach in erster Linie vom Forschungsgebiet, aber auch von der Universität und den Kompetenzen der jeweiligen Wissenschaftsvermittler selbst ab. An der Uni Graz funktioniert das sehr gut, nur werden eben die entsprechenden Kanäle und Medien nicht immer erreicht. Und die Medien im Lande nehmen auch manch gute Geschichte einfach nicht auf.
Vielen Dank für das Gespräch!