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GSC Interview mit Prof. Wolfgang Graier

Chair, Institute of Molecular Biology and Biochemistry, Medical University of Graz // Head, NIKON-Center of Excellence for Super-resolution Microscopy: Cells & Organelles  

Univ.-Prof. Mag.pharm. Dr.rer.nat. Wolfgang Graier


Interview am 11.12. 2015

Lieber Prof. Graier, Sie waren während Ihres Studiums im Ausland und haben in den USA gearbeitet. Was zeichnet denn aus Ihrer Sicht die Stadt Graz aus; warum sind Sie nach Graz zurückgekehrt, warum leben und arbeiten Sie hier?

Graier: Das hatte erstens private Gründe. Meine Frau erwartete unser zweites Kind und da wollten wir einfach zurück nach Europa. Und es gibt in Graz drei große Universitäten mit naturwissenschaftlichem Hintergrund und großer Historie. An der Med Uni Graz konnte ich während der letzten Jahre ein Labor aufbauen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 21 Ländern - das macht Spaß. Dennoch war ich in letzter Zeit manchmal versucht, auszuwandern.

Warum das?

Graier: Ich bin nicht begeistert davon, wie in diesem Land Gelder vergeben werden. Da stecken für mich zu viel Gießkanne und Politik dahinter und manchmal erscheint es, dass diejenigen, die am wichtigsten tun und sich am besten verkaufen, nahezu ungefragt enorme Geldmittel bekommen. Ich bin jetzt bald 53 Jahre alt und als wir 30 waren, gab es eine größere Aufbruchsstimmung in der Wissenschaft. Jetzt machen die Leute schnell ihren PhD und wollen wenn möglich hier bleiben. Klar, Graz ist schön, aber man braucht die Erfahrung von außerhalb, um etwas neu Gelerntes zurück bringen zu können.

Apropos außerhalb: Wenn Sie Graz mit Universitätsstädten im Ausland vergleichen, wo liegen denn die Unterschiede?

Graier: Es ist schade, dass Graz sich nicht so richtig mit seiner Universitätslandschaft identifiziert. Ich vergleiche Graz oft mit Genf und Genf ist etwa halb so groß wie Graz. Obwohl Genf mit all seinen Unternehmens-Headquarters und internationalen Organisationen eine enorm reiche Stadt ist, sind die Genfer viel stolzer auf ihre Universität als wir Grazer es meinem Eindruck nach sind.

Man muss den Grazerinnen und Grazern ihre Universitäten nahebringen. Wir haben ein tolles Opernhaus - das sich aber nicht mit der Mailänder Scala vergleichen kann. Unsere Universitäten können sich mit den Mailänder Unis aber durchaus vergleichen. Auch deutsche Städte wie Göttingen oder Marburg definieren sich wesentlich über ihre Universitäten und sind stolz darauf. Das erlebe ich in Graz weniger. Dabei hat Graz das Potenzial, ein Oxford oder Stanford zu werden.

Warum sind fast alle der großen renommierten Universitäten in kleinen Städten? Das hat einen Grund: Hier kann die Bevölkerung die Universität mittragen. Es sind schöne Orte zum Leben und man braucht Lebensqualität, um Innovationen entstehen lassen zu können. Die US-Amerikaner, die Engländer und die Deutschen haben das verstanden; wir Österreicher tun uns damit allerdings immer noch ein bissl schwer.

Ist Graz so gesehen fast schon zu groß?

Graier: Von der Wahrnehmung her ist Graz perfekt - da wirkt die Stadt kleiner als Genf. Die pulsierende Zentrale von Graz ist eine perfekte Location. Und mittendrin - vom LKH-Klinikum über die Heinrichstraße bis zum Stadtpark - liegen die Universitäten. Wir haben eigentlich ein riesiges Univiertel, nur nennen wir es nicht Univiertel, sondern Geidorf. Und dann schimpfen wir noch, wenn die bösen jungen Leute Party feiern.  

Und warum wird die Heinrichstraße im Bereich der Universität nicht unterflurig geführt, um den erfühlbaren Bereich der Universität Richtung des Zentrums für molekulare Biowissenschaften auszuweiten und um Raum für Begegnung und universitäre Aktivitäten zu schaffen? Damit könnte die Heinrichstraße Teil eines riesigen Campus sein und diesen nicht durchschneiden. Die Universität als Lebenszentrale der Stadt. Auch am neuen Med Campus und Umgebung wie in der Riesstraße und Elisabethstraße gehören alle Autos unter die Erde. Das kostet natürlich, ist meines Erachtens für die Lebensqualität und ein pulsierendes Universitätserlebnis aber notwendig. Die Grazer Universitäten bieten die Chance, die Stadt als authentische Universitätsstadt international noch bekannter und attraktiver zu machen.

Graz hat sich in den letzten Jahrzehnten den Labor- und Experimentier-Charakter vor allem über die Kulturszene geholt. Und Graz hat sich etwa 60 Titel als „heimliche" oder offen deklarierte „Hauptstadt von ..." erarbeitet. Wenn man aber alles sein will, ist man oft gar nichts ...

Graier: Ein österreichisches Problem ...

Deshalb wären die Universitäten als öffentlich stark wahrgenommene Institutionen für Kreativität und Innovationen und auch als Stätten und Treiber des öffentlichen Diskurses wichtig. 

Graier: Da gebe ich Ihnen Recht. Wenn ich zurückdenke, wie die Radwege eines Erich Edegger meinen Vater zur Weißglut gebracht haben und wie wichtig sie heute für die Stadt geworden sind. Diese Entwicklung hat unglaublich viel junges Lebensgefühl in unsere Stadt gebracht und war eine der wichtigsten unterstützenden Maßnahmen für die Entwicklung der jungen Szene und der Universitäten, die mehr als nur Lehr- bzw. Forschungsstätten sein sollten. Diese Reifung der Universitätsszene muss von allen Seiten unterstützt werden.

Ich glaube auch, dass alle guten Forscher gewisse soziale Handicaps und, wie man so schön sagt, „einen Huscher" haben. Und weil sie diesen Huscher haben, brauchen sie die sozial stabile Kleinstadt. Dafür ist Graz ideal, denn Graz hat letztlich doch ein gesundes Selbstverständnis und Grazerin oder Grazer sein, sollte keine Nationenfrage, sondern eine Frage, wie die Menschen hier miteinander umgehen, sein.

Im Kulturbereich ist es ja so, dass für die Herausbildung einer Grundlage, eines Humus, die Gießkanne keine schlechte Strategie ist. Wenn es dann um Spitzenleistungen geht, desto mehr muss man sich von der Gießkanne verabschieden und gezielt fördern.

Graier: Startups beispielsweise sind für das Micro-Environment wichtig, aber nicht in erster Linie deshalb, weil sie Kohle machen. Startups sind für den gesamten Standort wichtig und machen etwas, was in den normalen Strukturen einer Universität nicht möglich ist. Damit „düngen" sie die Universitäten und so haben beide Seiten etwas davon. Die Universitäten selbst sollten meines Erachtens auch in Zukunft ihren Schwerpunkt in der Grundlagenforschung haben. Hier ist vor allem die Bundesregierung gefordert, dem österreichischen Forschungsfonds (FWF) endlich adäquate Mittel zur Verfügung zu stellen. Wie jetzt gerade mit der Grundlagenforschung umgegangen wird, wäre sogar für ein Schwellenland peinlich. 

Wir müssen grundsätzlich Wege finden, um das, was an den Universitäten passiert, breit vermitteln zu können. Das wird bei uns viel zu wenig gemacht. Auch die Kultur tut sich im Bereich abseits dessen, „was gefällt", schwer. Der Biochemiker Gottfried Schatz etwa war für den Wissenschaftssektor ein ganz wunderbarer Kommunikator. Er konnte „Hightech" ohne Hightech vermitteln. Und so etwas brauchen die Unis.

Spannende Vermittlungsformate müssen gepflegt werden. Wir hatten vor einigen Jahren an der Uni Nobelpreisträger des Jahres zu Gast. Und es sind, wenn ich mich recht erinnere, fünfzehn Zuhörer zu dieser Veranstaltung gekommen!

Ein Problem bei eher „versteinerten Strukturen" ist ja, dass bestimmende Persönlichkeiten sich schwer tun, starke Nachfolger aufzubauen ...

 Graier: Das auch. Mein Credo lautet: Leute, die an meinem Institut einen Job bekommen wollen, müssen schlauer sein als ich. Vor ein paar Jahren haben wir an einem speziellen Problem gearbeitet. Über Google hatte ich dann ein sensationelles Paper gefunden und sofort mit dem Autor Kontakt aufgenommen. Überraschenderweise kam innerhalb von Minuten die Rückmeldung und es stellte sich heraus, dass das ein ganz junger Forscher an einem Münchner Institut ist. An einem Freitag hab‘ ich dann den damaligen Rektor Smolle angerufen und ihm gesagt, dass ich eine Stelle für einen assoziierten Professor brauche. In der nächsten Woche hatte ich die Stelle. Das ist großartig und sollte ein Beispiel sein: dafür, dass wir Top-Leute nach Graz holen sollten und dafür, dass die Universitäten uns mit deren Anstellung entgegen kommen. Diesen Forscher, übrigens ein gebürtiger Grazer, der mittlerweile einer der besten seines Faches in Europa ist, haben wir mit so einer schnellen Reaktion des Rektorats zurück nach Graz holen können. Solch spontane Entscheidungen wird man manchmal benötigen, um wirklich gute Leute nach Graz zu bekommen. Unser Job ist zu einem guten Teil auch die Tätigkeit als Mentor und solche Top-Leute für Graz zu finden.

Auch bei Ausschreibungen von Stellen wird in Österreich ein Formalismus gepflegt, der lähmend ist. In Genf, zum Beispiel, werden zuerst passende Kandidatinnen und Kandidaten zu den gewünschten Themen gesucht, angeschrieben und mit ihnen Gespräche geführt. Und erst dann wird ausgeschrieben. In Österreich läuft das umgekehrt: Es wird zuerst eine Unmenge formaler Anforderungen verlangt und evaluiert, die mit dem Fach wenig zu tun haben. Damit fallen fachlich Bestgeeignete manchmal schon einem ersten Ausleseprozess zum Opfer, weil ihnen irgendeine für die Stelle unwichtige Eigenschaft fehlt. Und damit erhält man oft nur pragmatisch passende brave Diener, die ihre Innovationskraft verloren haben, als sie das letzte Mal im Kindergarten ein schönes Legogebilde gebastelt haben.

Solche Objektivierungsrichtlinien führen ja überall im öffentlichen Dienst zu den seltsamsten Ergebnissen ...   

Graier: Bürokratische Organisationen führen manchmal ein Eigenleben. Als ich zu studieren begann, waren in der Prüfungsabteilung drei Personen bei mehr als 700 Studienanfängern. Mittlerweile arbeiten in der Prüfungsabteilung viel mehr Mitarbeiter, die etwas mehr als 400 Studienanfänger verwalten. Man darf nicht vergessen, dass die inhaltliche Arbeit an den Universitäten von den Assistenten, Professoren und Studierenden umgesetzt wird. Diese Gruppen machen aber nur mehr rund ein Drittel aller Angestellten aus.

Solche überstandardisierten Systeme entsprechen meines Erachtens auch nicht dem „österreichischen Wesen", das da lautet: „Wir werden's schon derwurschteln". Mit Überstandardisierung und ständiger Evaluierung wird den schlauen „Querdenkern" zunehmend der Freiraum und Platz genommen. Diese Menschen sind aber notwendig für den wissenschaftlichen Fortschritt.

Die Universitäten und ihre Querdenker sind vielleicht überhaupt zu wenig sichtbar und unterrepräsentiert im öffentlichen politischen Diskurs ... Wie könnte die Stadt hier konkret unterstützen, auf dass die „Verrückten der Universitäten" verstärkt eingebunden werden? 

Graier: Die Trennung zwischen Stadt- und Universitätspolitik sollte ganz grundsätzlich aufgelöst werden. Viele für beide Seiten wichtige Dinge sollte man gemeinsam diskutieren. Ein positives Beispiel ist die gemeinsame Planung von Stadt Graz und Med Uni Graz für den neuen Med Campus. Die Universitäten sind ein ganz wesentlicher Teil der Stadt und darauf müsste man sich auch konzentrieren. Das Commitment sollte sein: Wir planen die Stadt um die Universitäten. Was den Universitäten gut tut, tut der Stadt gut - und umgekehrt. Denken Sie nur an das Beispiel der Radwege ...

Was konkret würden Sie selber an Zeit und Ideen einbringen wollen?

Graier: Man sollte beispielsweise zu Roundtables einladen, um über alles Mögliche diskutieren zu können. Wir brauchen wieder eine ordentliche Diskussions- und Streitkultur. Ich frage mich etwa, wofür unsere Studierenden heute noch stehen. Eine gemischte Runde, die spannende und kontroversielle Themen diskutiert - dabei müssen Politiker gar nicht mitreden, die sollen sich das zuerst einmal nur anhören -, wäre sicher erfolgreich, um ein besseres und respektvolleres Miteinander zu schaffen. Auch Gemeinschaften wie die Rotarier leben davon, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Professionen zusammenkommen und sich austauschen. Und etwas Ähnliches sollte man auch für die Wissenschaft und die Stadt Graz zusammenbringen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Universitäten, Forschungszentren und Spitäler zusammengenommen die größten Arbeitgeber, oder wenn man die Studierenden inkludiert, „Wirkorte" in dieser Stadt sind.

Wichtig ist, dass in solchen Prozessen auch die „schrägen Vögel" dabei sind. Wir brauchen Menschen mit einem weiteren Horizont und Visionen. Und solche Formate müssen institutionalisiert werden, denn sie brauchen ihre Zeit zur Entwicklung.

Vielen Dank für das Gespräch!    

        

      

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