Professor for Interactive Microbiome Research, Medical University of Graz
Univ.Prof.in Dr.in habil.rer.nat. Christine Moissl-Eichinger
Interview am 21.12. 2015
Liebe Frau Prof.in Moissl-Eichinger, Sie bringen durch Ihre Forschungen u.a. zur Astrobiologie nicht nur externe, sondern sogar „extraterrestrische" Erfahrungen mit nach Graz. Wie geht's denn nun all diesen Projekten, die Sie vor einem Jahr mit nach Graz gebracht haben?
Moissl-Eichinger: Den Weltraum-Projekten geht's ebenso gut wie den anderen Projekten. Wir sind jetzt über die Aufbauphase hinweg und produzieren Daten. Wir haben alle Fühler ausgestreckt, Kooperationen gegründet, Vorversuche gemacht und mit dem voll funktionsfähigen Labor geht es nun so richtig los. In der Startphase gibt es auch immer Stolpersteine, mit denen man nicht rechnet. Das ist reine Erfahrungssache und man lernt immer dazu.
Wenn Sie an das letzte Jahr (2014) zurückdenken, wie waren denn Ihre ersten Eindrücke von der Stadt Graz, vom Forschungsverbund BioTechMed und der Med Uni Graz?
Moissl-Eichinger: Es war überwältigend. Die Stadt ist schon vom Erscheinungsbild her großartig - und ich komme aus Regensburg, einer ebenfalls wunderschönen Stadt, von der ich dachte, dass es gar nichts Schöneres geben kann. Die Stadt Graz mit ihren Studenten und der merkbaren Lebensfreude ist toll aufgebaut. Diese Lebensfreude kenne ich auch vom heimatlichen Bayern. Man fühlt sich einfach sehr schnell wohl in Graz und seiner Umgebung.
Auch BioTechMed, der Forschungsverbund der drei großen Grazer Universitäten, bildet ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der europäischen Universitätslandschaft. Für mich ist das aber noch zu wenig sichtbar in Österreich, vielleicht auch in Graz. Solche Kooperationen kenne ich aus Regensburg oder aus Deutschland nicht. Der große Vorteil von BioTechMed Graz ist, dass man interdisziplinär arbeiten und über den Tellerrand blicken muss, was heutzutage ohnehin eine Grundvoraussetzung darstellt.
Was hat sich mittlerweile aus diesen interuniversitären Kooperationen ergeben?
Moissl-Eichinger: Da sind die ersten gemeinsamen Vorstudien abgeschlossen, gemeinsame Anträge wurden eingereicht und es haben sich seit meiner Ankunft in Graz noch viel mehr neue Kontakte mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Karl-Franzens-Universität und der TU Graz ergeben.
Gibt es mittlerweile schon etwas, was Ihnen negativ aufgefallen ist oder was Sie stört an und in der Stadt?
Moissl-Eichinger: Da gibt es eigentlich kaum etwas. Maximal Kleinigkeiten, aber da ist nichts darunter, was typisch für die Stadt wäre. Was die universitäre Landschaft betrifft, da muss man sich in jedes neue System erst einleben und dieses kennenlernen. So gilt es etwa, einen anderen kulturellen Background verstehen zu lernen. Man muss erst herauskriegen, wo man aufpassen muss und wo die Feinheiten liegen. Aber das ist nichts, was man nicht irgendwann verstehen würde.
Konnten Sie schon ganz spezielle steirische Eigenarten beobachten?
Moissl-Eichinger: Ich habe das Gefühl, dass es in Graz sehr wichtig ist, wer wen kennt und wer schon einmal mit jemandem etwas zu tun hatte. Diese Bande reichen oft zurück bis zum Kindergarten. Als Außenstehende hat man es da schwerer, in diesen Verbund hineinzukommen. Der Zusammenhalt ist sehr auffällig. Ich weiß jetzt auch gar nicht, ob das eine eher österreichische oder eine speziell Grazer Eigenschaft ist.
Im Grunde sollte man Wissenschaftler nach ihrer Ausbildung ja ermutigen, ihre Heimat-Universität auch einmal zu verlassen, damit sie anderswo Erfahrungen machen können. In Graz habe ich eher den Eindruck, dass die Wissenschaftler hierbehalten werden sollen. Ein wenig leidet darunter die Internationalisierung. Wir hatten zum Beispiel Probleme bei der Eingliederung einer nicht-deutschsprachigen Kollegin. Die administrativen Dinge in englischer Sprache zu erledigen, war schwierig. Für internationale Neuankömmlinge ist es nicht immer leicht.
Ist diese Sprachbarriere gerade im Alltagsleben zu bemerken?
Moissl-Eichinger: Wenn Kolleginnen im Rahmen von PhD-Programmen hier sind, ist die Betreuung relativ gut. Darüber hinaus kann es schwierig werden, und das beginnt schon bei den Formularen. Die Registrierungsformulare der Stadt Graz sind nicht unkompliziert und es dauert, bis man herausfindet, wann man sich wo und mit welchen Dokumenten melden muss.
Die Formalitäten, damit meine Familie sich hier niederlassen konnte, waren schon umfangreich. Es ist schwierig, Informationen zu bekommen, was man der Reihe nach machen muss. So muss man zum Beispiel als EU Bürger nach drei Monaten eine zusätzliche Anmeldebescheinigung beantragen - diese Information haben wir durch Zufall erhalten. Ein einfaches „Willkommenspaket" mit solchen Informationen, am besten auch zusätzlich auf Englisch, wäre sehr hilfreich.
Solche Pakete gibt es schon im Wirtschaftsbereich, vor allem für die zweite und dritte Unternehmens-Ebene. Für die Top-Führungskräfte sammelt diese Infos üblicherweise das Unternehmen selbst. Da könnte man vieles koordinieren ...
Moissl-Eichinger: Bei uns war es so, dass uns die Med Uni bei der Suche nach einem Kindergartenplatz u.ä. natürlich sehr unterstützt hat. Aber die formalen Dinge wie beispielsweise die Ummeldung eines Autos von Deutschland nach Österreich sind ungeheuer kompliziert und teuer. Und die lokalen Spezifika kommen noch dazu. Wir haben jetzt im Rahmen von BioTechMed begonnen, solche Infos für neue Mitarbeiter aufzubereiten. Die TU Graz hat mit dem „Welcome Center" schon ein sehr gutes Angebot vor allem für englischsprachige Mitarbeiter. Ein „Welcome Center" für ganz Graz wäre toll!
Sie sind Sie denn mit den Verkehrsanbindungen zufrieden?
Moissl-Eichinger: Wir haben uns die Wohnung so ausgesucht, dass wir die meisten Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigen können - das wurde uns von Anfang an dringend geraten. So wohnen wir nun in der Nähe von Eggersdorf, einer kleinen Gemeinde bei Graz. Der öffentliche Verkehr ist im Allgemeinen besser ausgebaut als in Regensburg - wo es wiederum einfacher ist, mit dem Auto in die Innenstadt zu gelangen. Es ist uns auch aufgefallen, dass man für Parkplätze in der Stadt grundsätzlich immer bezahlen muss.
Wie schätzen Sie denn das „kreative Klima" der Stadt ein?
Moissl-Eichinger: Was mir von Beginn an aufgefallen ist, war die Tatsache, dass die Grazer sehr viel Wert auf ihr Umland legen. Sie nehmen sich die Zeit dafür und genießen die Natur. In Deutschland war ich es gewohnt, am Samstag und Sonntag fast genauso viele E-Mails zu erhalten wie unter der Woche. Das ist hier nicht der Fall - da ist jeder draußen, am Berg oder sonst wo, und man genießt das auch.
Ich habe auch das Gefühl, dass die Familie einen hohen Stellenwert genießt. Man muss sich nicht schämen dafür, wenn man am Telefon sagt, dass man keine Zeit hat, weil man gerade am Spielplatz ist. Diese Freiräume schafft und nimmt sich hier jeder, und das finde ich sehr gut - und es befördert natürlich die Kreativität.
Wie funktioniert denn die informelle Kommunikation im Rahmen von BioTechMed?
Moissl-Eichinger: Die funktioniert über Veranstaltungen ebenso wie über persönliche Gespräche. Es gibt keine eigenen „BioTechMed-Treffen" oder „Stammtische", das ist noch wenig ausgebaut. Ich habe auch angeregt, dass man die Veranstaltungen und Treffen nicht immer am Abend macht, weil das für Familien nicht einfach ist. Ich finde zum Beispiel den „Science Lunch" an der Med Uni ganz hervorragend: Anstatt eines Mittagessens erhält man ein liebevoll zusammengestelltes Lunchpaket, kann essen und dabei den spannendsten Vorträgen folgen und diskutieren.
Wie nehmen Sie Graz als Kulturstadt und „City of Design" wahr?
Moissl-Eichinger: Das ist mir aufgefallen, weil wir im Sommer eine Design-Veranstaltung besuchen wollten, was wir zeitlich aber nicht geschafft haben. Vom Kulturangebot her ist Graz natürlich klasse, wenngleich die Veranstaltungen zum Teil sehr früh ausverkauft sind. Besonders toll finde ich das Angebot für Kinder.
Wie sind Sie denn mit der Kommunikation der Forschungsergebnisse, die in Graz entstehen, hin zu einer breiteren Öffentlichkeit zufrieden?
Moissl-Eichinger: Da könnte man sicher noch mehr machen und müsste möglichst viele Kommunikationskanäle berücksichtigen. Wir arbeiten schon intensiv mit unserer Pressestelle zusammen und das funktioniert auch sehr gut. In der Vermittlungs-Praxis muss man manchmal mit Gerüchten aufräumen: In meinem Fall heißt das etwa, dass Bakterien nicht grundsätzlich „böse" sind. Die allermeisten Bakterien, mit denen wir Menschen in unserem Körper zusammenarbeiten, sind absolut positiv. Diese Nachricht muss man aber mediengerecht vermitteln können. Und man muss als Forscherin auch Eigeninitiative zeigen.
Ein besonders gutes Format ist die „lange Nacht der Forschung". Oder das Projekt MUGIES, in dem wir versuchen, Schülern und Kindergartenkindern sehr anschaulich zu erzählen, was wir machen. Dafür braucht man auch Menschen, die wissen, wie man Wissenschaft vermarktet.
Ein gutes Beispiel dafür ist auch das „Ars Electronica Center (AEC)" in Linz mit seinem Kinderforschungslabor. Dort steht zum Beispiel ein hochmoderner 3-D-Drucker, der mit Plastilin funktioniert - damit verstehen auch Erwachsene, wie so etwas funktioniert...
Moissl-Eichinger: Das ist ein tolles Beispiel! Was mir auch noch lebhaft in Erinnerung ist, das ist ein „Speed-Dating" mit Wissenschaftlern in den Gondeln des Riesenrads im Wiener Prater. In jeder Gondel war ein Wissenschaftler und man konnte einsteigen und während der Fahrt alles fragen, was man wissen wollte. Ein aktuelles Vermittlungsformat wiederum sind die „Science Slams", die auch in Graz stattfinden.
Und wie kommen Sie selbst zu Ihren Forschungsthemen?
Grundlagenforschung an sich ist eine kreative Arbeit. Meine Strategie, um zu neuen Forschungsthemen zu kommen, ist: Themen verbinden, die noch nicht verbunden waren. Ich selber komme aus der mikrobiellen Ökologie - viele Methoden aus diesem Bereich gibt es in der Medizin nicht. Ich bringe nun diese Methoden in die Medizin und verbinde damit etwas, was vorher noch nicht verbunden war. Man muss über den Tellerrand hinaus blicken.
Was fällt Ihnen ganz grundsätzlich noch auf in dieser Stadt?
Moissl-Eichinger: Ich habe den Eindruck, dass Graz sich immer Richtung Wien vergleicht und der Eindruck gewonnen wird, dass Wien bei der Vergabe von Mitteln bevorzugt behandelt wird und auch dort die interessanteren Veranstaltungen stattfinden. Man hat offenbar das Gefühl, dass Graz öfter an der Reihe wäre, liefe die Verteilung gerecht ab.
Man muss einfach Zeit und Geld investieren, um etwas zu erreichen. Nehmen Sie das Beispiel Brüssel: Um zu Forschungsgeldern der EU zu kommen, muss man vor Ort sein und den persönlichen Kontakt halten. Bis vor kurzem hatten die Grazer Universitäten ein gemeinsames Büro in Brüssel. Das gibt es jetzt nicht mehr und das halte ich für einen Fehler, denn in solchen Zentren muss man präsent sein. Der Entdeckungsanruf aus Brüssel - „Wir haben gerade bemerkt, welch tolle Forschung Sie betreiben. In der nächsten Woche kommt eine Million auf Ihr Konto. Viel Erfolg." - kommt nicht, da muss man sich schon selber bemühen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.
Vielen Dank für das Gespräch!