Head of the Institute of Process and Particle Engineering, TU Graz
Scientific Director Research Center Pharmaceutical Engineering (RCPE)
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Johannes Khinast
Interview am 11.02. 2016
Lieber Prof. Khinast, Sie sind in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts als Student nach Graz gekommen. Wie waren damals Ihre ersten Eindrücke?
Khinast: Damals hatte ich natürlich einen ganz anderen Blickwinkel als heute. Mich hatte als Schlagzeuger neben dem Studium vor allem die äußerst lebendige Musikszene interessiert - von Punk über Jazz bis hin zur klassischen und Neuen Musik. Im Vergleich zu meiner Heimatstadt Linz war Graz ein Zentrum mit erstklassigem Kulturangebot wie etwa dem Steirischen Herbst und einer tollen Lokalszene. Graz war als Studentenstadt jung, lustig und hat Spaß gemacht.
Nach Ihrer Promotion an der TU Graz sind Sie 1996 als Post-doc in die USA gegangen und haben Karriere gemacht. 1998 wurden Sie Assistant Professor, 2003 erhielten Sie eine feste Professur an der Rutgers University und wurden auch Direktor des Rutgers Katalyse-Konsortiums. 2005 kamen Sie im Rahmen einer Marie-Curie-Chair-Professur der Europäischen Union zurück an die TU Graz. Wie hatte sich Graz aus Ihrer Sicht verändert?
Khinast: 2005 hatte ich wieder einen ganz anderen Blickwinkel und eine andere Perspektive; ich war zehn Jahre in den USA und hatte mich vom Musiker zum Wissenschaftler transformiert. Es war natürlich ein Unterschied zwischen New York City und der Stadt Graz. Ich habe aber zu meinem Erstaunen erkennen können, dass das Umfeld in Graz extrem fördernd und befruchtend und die Zusammenarbeit am Standort hervorragend war. Ich hatte das Gefühl, dass alle - von der TU Graz mit Rektor Sünkel über die Industriellenvereinigung, die SFG, die Stadt Graz und das Land Steiermark bis hin zum Humantechnologie-Cluster - darauf gewartet haben, beim Vernetzen zu helfen, um das neue Thema des „pharmazeutischen Engineerings" entsprechend lancieren zu können. Das war ganz anders, als ich es erwartet hatte.
Das Klischee vom „bürokratischen Europa" im Gegensatz zu den USA traf nicht zu...
Khinast: Für mich war das nicht der Fall. Die Zeit in den USA war natürlich karrierefördernd, denn in den Staaten korreliert Leistung unmittelbar mit der Karriere. Die Menschen in den USA freuen sich über den Erfolg und die Leistung von anderen. Das war in Österreich in den Neunzigerjahren noch etwas anders und hat sich meiner Beobachtung nach erst mit dem Selbständigwerden der Universitäten geändert. Was in Österreich stärker möglich sein sollte, ist aber, dass auch junge Talente früh in verantwortliche Positionen kommen können.
Warum sind Sie eigentlich als Professor an der Rutgers University und Direktor des Rutgers-Katalyse-Konsortiums zurück nach Österreich gegangen?
Khinast: Das war Zufall, ich hatte gar nicht die Absicht, zurück nach Europa zu kommen. Mit der Marie-Curie-Chair-Professur an der TU Graz hat sich damals eine tolle Möglichkeit aufgetan. Und es gibt auch eine gewisse Heimatverbundenheit, die man nicht ganz ablegen kann. Jetzt wiederum geht mir die USA ab als eine Heimat, die ich verloren habe.
Wenn Sie an die Vorlauf- und Anfangszeiten des 2008 als K1-Kompetenzzentrum gegründeten RCPE, des Research Center Pharmaceutical Engineering, zurückdenken, haben Sie da auch Skepsis wahrgenommen? Es wurde ja ein komplett neues Thema lanciert und finanziert...
Khinast: Mein engster Kreis, mit dem ich damals zusammengearbeitet habe, war voll von der Idee überzeugt. Ich hatte damals selbst nicht erwartet, dass dieses Thema des „Pharmaceutical Engineerings" und das RCPE als Unternehmen so erfolgreich sein kann. Aber wir hatten in Europa ein Alleinstellungsmerkmal; mittlerweile etablieren sich die ersten Nachahmer.
Und wir könnten aktuell noch viel mehr machen, sind im Wachstum jedoch limitiert. Generell gibt es zwei wesentliche kritische Faktoren für eine Firma: Erstens das Interesse am Produkt, das nicht fehlen darf, und zweitens die Schnelligkeit des Wachstums. Ersteres ist bei uns voll und ganz gegeben. Als RCPE müssen wir aber zweifellos darauf achten, nicht zu schnell zu wachsen. Das wäre gefährlich. Aktuell haben wir bereits 110 MitarbeiterInnen und planen für die nächsten Jahre eine größere thematische Erweiterung des Zentrums. Die richtigen MitarbeiterInnen gerade für das internationale Management zu bekommen, ist zweifellos ein limitierender Faktor. Wir müssen langsam und organisch wachsen.
Sie decken als Musiker, Wissenschaftler und wissenschaftlicher Verantwortlicher eines Forschungszentrums unterschiedliche Bereiche und Möglichkeiten der Kreativität ab. Wo sehen Sie persönlich die Überschneidung zwischen Kunst, Wissenschaft und Management?
Khinast: Ich sage meinen Kollegen am RCPE und am Institut der TU immer: „Man muss ein Rockstar sein, um zu überzeugen!" Wenn ich heute einen Vortrag halte, fühle ich mich immer noch wie früher als Drummer auf der Bühne. Der Funke muss fliegen - in der Musik wie beim Vortrag wie beim Schreiben eines wissenschaftlichen Papers.
Welche Gemeinsamkeiten gibt es denn noch im kreativen Prozess als Wissenschaftler, Manager und Musiker?
Khinast: Schönheit und Harmonie.
Als ästhetische Bearbeitung und Qualität dessen, was man macht...
Khinast: Ja, genau. Unterschiedliche Stimmen müssen zusammenpassen, die Präsentation muss mitreißen. Wir haben am RCPE einige Kolleginnen und Kollegen, die diesen „Wow-Effekt" erzeugen können. Das können Tiroler, Nepalesen oder Chinesen gleichermaßen.
Wenn Sie jemand fragt, was Sie tun - was antworten Sie? Sehen Sie sich in erster Linie als Kreativer, als Wissenschaftler, als Unternehmer...?
Khinast: Ich wollte immer Wissenschaftler werden, fühle mich heute aber mehr als Unternehmer, der seinen Erfolg auf guter Wissenschaft abstützt. Gute Wissenschaft - und das habe ich in den USA gelernt - zeichnet sich durch folgende Faktoren aus: Es muss erstens neu und innovativ sein, zweitens muss man das Warum und Wieso verstehen und rational erklären können und drittens ist es wichtig, die Dinge kontrollieren, als System verstehen, steuern und designen zu können. Die Beobachtung allein reicht da nicht. In den Ingenieurswissenschaften bedeutet Design, dass ich aus verstandenen Prinzipien heraus Neues auslegen und designen kann. Darin unterscheiden wir uns von den reinen Naturwissenschaften.
Wenn Sie nun „das System Stadt" betrachten - was fällt Ihnen Positives zur Stadt Graz ein?
Khinast: Dass ich nach acht Jahren New York bei der Rückkehr nach Graz keinen Schock erlitten habe. Graz ist meines Erachtens deshalb stark, weil es sehr viele Ebenen hat, die nicht nur koexistieren, sondern gemeinsam eine enorme Multidimensionalität erzeugen. Es gibt keine großen Schwächen.
Welchen Wert hat für Sie die Grundlagenforschung und wie schätzen Sie die Qualität der Vernetzung zwischen den Akteuren an den Unis und jenen der angewandten Forschung ein?
Khinast: Die strikte Trennung zwischen angewandter und Grundlagenforschung werde ich nie ganz verstehen. Es ist schon klar, was gemeint ist, aber Beides ist wichtig und die Überschneidungen sind fließend. Was die Vernetzung betrifft: Die Stadt ist bestens vernetzt, wir haben - etwa im Vergleich zur Wiener Wissenschaftsszene - keine Berührungsängste zwischen den Institutionen und ein sehr offenes Miteinander. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kooperation der drei großen Grazer Universitäten im Rahmen von BioTechMed.
Die Zusammenarbeit am Standort ist natürlich gut für das Standortmarketing, man kann damit zusätzliches Geld lukrieren, man kann den Nachwuchs fördern und man kann Ressourcen vereinen und gemeinsam besser nutzen. Man darf aber nicht naiv sein und die Zusammenarbeit am Standort als das einzig Seligmachende betrachten. Die internationalen Kooperationen mit Universitäten und Einrichtungen sind mindestens genauso wichtig. Gute Wissenschaft ist meist international.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach genügend Angebote und Unterstützung, wenn internationale Forscherinnen und Forscher nach Graz kommen?
Khinast: Die TU Graz hat erstklassige Angebote in diesem Bereich, auch der „Club International" der Stadt Graz unterstützt sehr professionell. Für uns ist es interessanterweise schwer, Spitzen-MitarbeiterInnen aus Deutschland oder England ans RCPE zu holen, da ist das Angebot im eigenen Land sehr groß. Wir konzentrieren uns deshalb eher auf den Rest von Europa und der Welt.
Wichtig ist, dass es das Angebot an internationalen, englischsprachigen Kindergärten und Schulen gibt. Am RCPE müssen wir unseren MitarbeiterInnen eine langfristige Perspektive bieten können. Je mehr man sich englischsprachig in dieser Stadt bewegen kann - etwa auch auf Ämtern und Behörden -, desto besser. Der internationale Flughafen ist natürlich ein ebenso zentraler Standortfaktor.
Wir alle müssen uns bemühen, dass dieser Standort mit seiner im internationalen Vergleich außergewöhnlichen Lebensqualität so erhalten bleibt. Zustände wie in Griechenland oder Portugal stellen sich schneller ein, als man denkt. Mir ist auch wichtig, dass man speziell den jungen Menschen klar macht, dass Sie sich selbständig machen können, dass sie Unternehmen gründen können, um Ideen umzusetzen.
Kann und soll in diesem Bereich aus Ihrer Sicht auch die Stadt bspw. mit Co-Working-Spaces unterstützen?
Khinast: Natürlich. Allein aus unserem Zentrum sind vier Spin-off-Unternehmen hervorgegangen. Das „Unternehmer-Virus" muss man den Menschen meiner Ansicht nach aber schon mit 16, 18 Jahren einimpfen.
Was in Österreich sicher fehlt, ist „Venture Capital", also Beteiligungskapital für junge, innovative Unternehmen. Denn wenn es Richtung Pharma geht, muss man meist ein paar Millionen in die Hand nehmen, um etwas bewegen zu können...
Ist es für Graz und auch für das RCPE ein limitierender Faktor, dass es am Standort kaum großen Pharmaunternehmen gibt?
Khinast: Das ist gar nicht so wichtig. Wir haben das Know-how im Haus und könnten jederzeit eine Produktion hochziehen. Dazu benötigt man aber viele Millionen Euro und die entsprechenden Personen. Es gibt jedenfalls sehr großes Potenzial.
Und wie funktioniert die Vernetzung mit der Wirtschaft vor Ort?
Khinast: Wir sprechen mit allen und pflegen beste Kontakte. So funktionieren etwa auch die Kooperationen mit lokalen Unternehmen - zum Beispiel G.L. Pharma oder Fresenius Kabi - und mit Engineering-Firmen wie VTU oder ZETA sehr gut. Die großen Zentren der Pharmaindustrie in Europa findet man in Deutschland, der Schweiz und in Großbritannien. Mit der Entwicklung am Standort Graz können wir sehr zufrieden sein. Mehr Dynamik kann man sich immer wünschen.
Vielen Dank für das Gespräch!