Head of Business Unit Visual Computing, Fraunhofer Austria Research GmbH
Dr.in rer. nat. Eva Eggeling
Interview am 28.01. 2016
Liebe Frau Dr.in Eggeling, Sie sind Leiterin des Geschäftsbereiches Visual Computing von Fraunhofer Austria in Graz. Wie war Ihr erster Eindruck von der Stadt, als Sie aus den USA nach Graz gekommen sind?
Eggeling: Ich bin in Deutschland aufgewachsen und war, bevor ich 2008 nach Graz gekommen bin, lange Jahre in den USA, an der Carnegie Mellon University (CMU) in Pittsburgh. Was mir zuerst positiv auffiel, war das mediterrane Klima und Lebensgefühl. Durchaus im Kontrast zur sehr amerikanischen Stadt Pittsburgh - da macht man Downtown Geschäfte und geht nicht flanieren. Die Innenstadt mit der Fußgängerzone, ihren Gastgärten und Kaffeehäusern, das war einer der ersten Eindrücke von Graz. Und ich muss gestehen, dass ich Graz vor meinem Engagement bei Fraunhofer Austria gar nicht kannte und auf der Landkarte erst nachsehen musste, wo genau die Stadt liegt.
Nach meinen ersten Besuchen war klar, dass sich ein zweiter Blick lohnt. Es stand damals die Entscheidung an, ob wir mit Kind und Kegel zurück nach Europa übersiedeln. Graz hatte für mich auch ein wenig „das Flair von Urlaub". Damals, im Jahr 2008, erschien die Stadt für mich nur wenig international. Die Beschriftungen zu den Sehenswürdigkeiten waren nicht immer vorhanden und nicht mehrsprachig und Graz war meinem Eindruck nach nicht auf internationale Touristen ausgerichtet. Heutzutage findet man solche Sachen schon eher.
Waren damals auch die Flug- und Verkehrsverbindungen zufriedenstellend für Sie auf dem Weg von den USA über Deutschland nach Graz - und haben sich die Verkehrsverbindungen seither verbessert oder verschlechtert?
Eggeling: Graz hat einen internationalen Flughafen und das ist ein absoluter Pluspunkt. Ich konnte immer über Frankfurt oder Wien auch mit wenig Umsteigezeit nach Graz einfliegen, das war nie ein Problem. Vor allem die Direkt-Verbindungen nach Frankfurt waren einer der Gründe, nach Graz zu kommen. Dass es die Verbindung Graz-Köln nicht mehr gibt, ist aus privater Sicht natürlich schade, war aber offenbar wirtschaftlich nicht darstellbar. Der Flughafen Graz an sich ist sehr gut, weil durch die relative Kleinheit alles sehr schnell abgewickelt werden kann.
Wie waren denn die ersten Erfahrungen hier am Campus Inffeldgasse der TU Graz?
Eggeling: Die Fraunhofer-Gesellschaft als größte außeruniversitäre Einrichtung für angewandte Forschung in Europa siedelt sich ja immer im Umfeld einer assoziierten akademischen Einrichtung an. Mittlerweile sind wir natürlich gewachsen und haben uns etwas ausgebreitet, und die Kooperation mit der TU Graz, auch was die Lehrtätigkeit von Fraunhofer-Mitarbeiterinnen und die gemeinsame Betreuung etwa von Doktorandinnen und Masterstudierenden betrifft, hat vom ersten Tag an sehr gut funktioniert.
Und wie fällt der Vergleich etwa mit deutschen Universitätsstädten aus?
Eggeling: Ich weiß, hier wird oft darüber geschimpft, aber ich finde die öffentlichen Verkehrsanbindungen in Graz sehr gut. In den späteren Abendstunden könnten die Verkehrsmittel natürlich öfter und länger unterwegs sein. Mittlerweile gibt es in der Straßenbahn aber sogar englischsprachige Haltestellenansagen.
Was mir ein wenig fehlt, ist das Verweben von Stadt und Wissenschaft. Als „zugereiste Deutsche" bringe ich natürlich nicht die Altkontakte der Einheimischen mit. Wenn man neu hierherkommt - das ist aber wahrscheinlich nicht Graz-spezifisch - müssen die Netzwerke erst wachsen. Und vieles geht in Österreich, noch stärker als in Deutschland, über diese Netzwerke, und nicht über die offiziellen Kanäle.
Es gibt in der Steiermark für fast jeden Sektor die Cluster. Dort lernt man dann langsam die Player kennen. Und ich habe natürlich auch versucht, direkt Kontakt aufzunehmen auf Basis konkreter Ideen und Vorschläge zu Visualisierungstechnologien, etwa mit der Bauplanungsabteilung der Stadt Graz oder mit den „Creative Industries". Aus diesen Kontakten ist aber leider noch nicht mehr geworden.
Im Bereich der Datenvisualisierung, speziell mit VR/AR-Technologien, kann man beispielsweise im Tourismus viel machen. Meine Tochter war ganz begeistert von einer Reise mit dem Schulchor nach Riga, weil es dort in der ganzen Stadt flächendeckenden W-LAN-Empfang gab, was für die jungen Leute natürlich toll war. Damit konnten auch die Sehenswürdigkeiten mit den neuen Medien und Technologien präsentiert werden. Ein anderes Beispiel sind US-amerikanische Einkaufszentren, die ihren Kunden sehr innovative Lösungen bieten.
Wie laufen denn konkrete Projekte mit der Fraunhofer-Gesellschaft ab?
Eggeling: Fraunhofer ist die größte Non-Profit-Einrichtung in der angewandten Forschung. Bei uns zahlt der Kunde die Entwicklungszeit. Im Grunde hat Fraunhofer eine Brückenfunktion zwischen den Unternehmen und den Universitäten und entwickelt vor allem die individuellen innovativen Lösungen für Unternehmen - besonders dann, wenn es für spezielle Fragestellungen keine passende Lösung „von der Stange" gibt. Deshalb ist Fraunhofer gerade für Unternehmen, die keine eigene Entwicklungsabteilung haben, ein passender Partner. Wenn eine Kooperation oder ein Forschungsprojekt mit einem Industriepartner oder einer anderen außeruniversitären Forschungseinrichtung oder einer Universität vereinbart wird, machen wir meist die Entwicklung bis zum Funktionsprototypen. Wenn gewünscht, können wir auch bis zur Produktivreife entwickeln, was jedoch nicht der Regelfall ist, dafür suchen wir dann Vertriebspartner.
Wie ist Ihre Erfahrung der letzten Jahre in der Zusammenarbeit mit der Industrie und den KMUs in der Steiermark?
Eggeling: Die Steiermark ist ein sehr lebhafter KMU-Markt. Anfangs hatten wir schon damit zu kämpfen, dass der Name Fraunhofer noch nicht so bekannt war. Kommt man dann ins Gespräch mit den Unternehmen, ist die Marke Fraunhofer natürlich sehr hilfreich. In Deutschland wirkt Fraunhofer von vornherein wie ein Gütesiegel, das ist in Österreich generell noch immer etwas anders. Ich arbeite grundsätzlich sehr gerne mit den KMUs zusammen, aber auch mit den großen Automobilzulieferern, mit IT-Startups und Architekten.
Und welche eher informellen „geschlossenen Gesellschaften" sind Ihnen in diesem Land schon begegnet?
Eggeling: Ich habe zu Beginn auch die Cluster als solche empfunden. Vielleicht ist man einer „großen deutschen Gesellschaft" gegenüber immer etwas skeptisch. An der Carnegie Mellon University in Pittsburgh war man froh über jeden, der von außen einen neuen Impuls in den interdisziplinären Wissensaustausch bringt. In Graz war am Anfang viel Abgrenzung zu spüren. Im persönlichen Gespräch konnte man dann die allermeisten Irritationen ausräumen, und nach acht Jahren ist nun den meisten schon klar, dass wir bei Fraunhofer in Graz und Wien österreichische Forschung für österreichische Unternehmen machen. Und dabei einen Vorteil für die österreichischen Unternehmen und Forschungseinrichtung bieten können: Den kurzen Draht nach Deutschland zu weiteren 67 Forschungsinstituten mit deren Netzwerken.
Ist die Industrie bereit, wieder mehr in die Forschung zu investieren?
Eggeling: Als wir nach Graz kamen, ging es mit der Wirtschaftskrise los, und die Industrie war mit Investitionen sehr zurückhaltend. Das hat sich mittlerweile gebessert. Und ein Thema wie „Industrie 4.0" ist natürlich eine Chance für viele österreichische Unternehmen und ist auch nützlich für Fraunhofer Österreich, weil wir hier viel zu bieten haben.
Was könnte denn die Stadt Graz aus Ihrer Sicht tun, um eine Institution wie Fraunhofer zu unterstützen?
Eggeling: Da fällt mir schon etwas ganz Konkretes ein. Wenn etwa auf einschlägigen Veranstaltungen der zweifellos sehr gute Forschungsstandort Graz präsentiert wird, sollte man das Dasein von Fraunhofer zumindest erwähnen und neben allen anderen Einrichtungen auch das Fraunhofer-Logo in der Landkarte einbinden.
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Graz und vergleichbaren Städten in Deutschland?
Eggeling: Wenn ich Graz zum Beispiel mit Bonn, der Geburtsstadt Beethovens, vergleiche, fällt mir sofort auf, dass Graz eine sehr musikalische Stadt mit tollem Angebot ist. Das Kontrastprogramm von alter Architektur und Moderne, der alten Innenstadt und dem Kunsthaus, ist auch typisch. Das Opern- und Theaterangebot ist für eine Stadt dieser Größe erstklassig, ebenso die Musikschulausbildung für die Kinder.
Als Familie fühlen wir uns sehr wohl; es war allerdings nicht einfach, unser Haus in Raaba bei Graz zu finden. Das lief über persönliche Kontakte. Über die vorangegangene Arbeit der Makler will ich lieber nicht zu viele Worte verlieren. Die Gemeinde Raaba bietet sehr viele Sozialleistungen und die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Raaba nach Graz ist sehr gut. Wenn meine 16jährige Tochter am Abend unterwegs ist, fühlt sie sich am Jakominiplatz allerdings nicht ganz sicher. Verglichen mit anderen Städten etwa in den USA ist Graz natürlich sicher.
Vielen Dank für das Gespräch!