Director Space Research Institute / IWF, Austrian Academy of Sciences / OeAW
Dr. Prof. Wolfgang Baumjohann
Interview am 03.02. 2016
Lieber Prof. Baumjohann, wie haben Sie bisher Graz als „City of Design" wahrgenommen?
Baumjohann: Wenn ich „City of Design" höre, denke ich natürlich automatisch an Designer, vielleicht noch an Architekten, aber nicht an Wissenschaftler. Wenn Sie „City of Creativity" gesagt hätten, dann würde jeder ernstzunehmende Naturwissenschaftler - und auch die wenigen Geisteswissenschaftler, die ich gut kenne - sagen, dass sie natürlich auch kreativ sein müssen. Mit der „City of Design" verbindet der Durchschnittsbürger vielleicht ein paar Buchstaben, die in der Stadt herumstehen und auf die man sich setzen kann, darüber hinaus hat man aber nichts damit zu tun. Vielleicht ist „Design" nur eine Unterabteilung von „Creativity". Wenn man die Spitzenforscher einbinden will, muss man wahrscheinlich den Begriff etwas erweitern.
Von der Grundidee her ist die „City of Design" in Graz thematisch sehr breit angelegt und umfasst auch den Bereich Wissenschaft. Diesem breiten Ansatz soll wieder mehr Rechnung getragen werden. Und es ist gar nicht überraschend, dass die dazugehörigen Communities der Designer, Künstler und Wissenschaftler ganz ähnlich ticken. Wichtig für die Vertiefung eines breiteren Design-Ansatzes ist natürlich der Außenblick der Beteiligten. Was mich zu der Frage führt, wie Ihre Eindrücke waren, als Sie zum ersten Mal in diese Stadt kamen...
Baumjohann: Bevor ich 2001 beruflich dauerhaft nach Graz gekommen bin, kannte ich die Stadt bereits aus den Siebzigerjahren. Mein Eindruck damals war: „Eine schöne Altstadt" - das war's dann aber auch. Graz hinkte etwas hinterher, verglichen etwa mit der Universitätsstadt Münster, wo ich herkomme. Das hatte sicher auch mit der damaligen wirtschaftlichen Lage und der Außenlage am damaligen Eisernen Vorhang zu tun.
Als ich dann 2001 nach Graz übersiedelt bin, hat man schon gesehen, dass sich in der Altstadt viel getan hatte, Beispiel Gastronomie, und dass die Restaurierung sehr behutsam vorgenommen wurde. Das Bewahrende hatte meinem Eindruck nach eine wichtigere Rolle als neues Design und Kreativität. Das hat sich in den letzten Jahren schon geändert, wenn man sich etwa den „Schwarzen Panther", das Kunsthaus oder das neue Styria-Gebäude ansieht.
Gibt es aus Ihrer Erfahrung Netzwerke mit der Kunst und Wirtschaft, die Sie nutzen können?
Baumjohann: Es gibt keine etablierten Netzwerke, die ich nutze. Ich finde es in diesem Zusammenhang auch schade, dass man in Österreich Universitäten hat, die im klassischen Sinne keine sind: Es gibt beispielsweise die Universität für Bildendende Kunst, die Medizinische Universität - mit „Universal" hat das nichts mehr zu tun. Man hat einzelne Fakultäten der Universitäten getrennt und damit gehen auch die interdisziplinären Kontakte verloren. Die Etablierung der medizinischen Fakultäten als eigene Universitäten in Graz und Wien war meines Erachtens ein Fehler.
Es gibt natürlich informelle Kontakte in anderen Bereichen, etwa über den Rotary Club, die wiederum Kontakte in die verschiedensten weiteren Bereiche und Szenen ermöglichen.
Wenn Sie an die 2000er-Jahre zurückdenken: Haben Sie „Graz 2003" auch als wesentlichen Wendepunkt für die Stadt in Richtung Internationalisierung erlebt?
Baumjohann: Ich habe das nicht so wahrgenommen, ich war damals aber erst seit kurzer Zeit in der Stadt und hatte ständig neue Eindrücke und war noch „in der Lernphase".
Gab es in dieser ersten Zeit auch Schwierigkeiten und Hindernisse, die Sie zu überwinden hatten?
Baumjohann: Für mich nicht. Ein Problem sehe ich in der Bürokratie für ausländische Mitarbeiter. Wir haben an unserem Institut einen Mitarbeiter, der sich um neue Kollegen aus dem Ausland kümmert und etwa bei Behördengängen dabei ist. Diese Betreuung bei bürokratischen Hürden ist sehr wichtig, wenn man kreative Köpfe aus aller Welt in Graz haben will.
Sind Ihnen die entsprechenden Angebote wie zum Beispiel das „Welcome Center" der TU Graz bekannt?
Baumjohann: Ja, ich denke aber, dass bisher jede Einrichtung selbst versucht, dieses Problem zu lösen. Man könnte jedoch auch von der Stadt aus eine übergreifende Initiative starten und so etwas wie ein „gemeinsames Welcome Center" ins Leben rufen.
Nun haben Sie nach vielen Jahren Österreich auch den Innenblick - wie könnte die Stadt die Wissenschaftler und Forscher noch unterstützen?
Baumjohann: Wie schon angesprochen denke ich, dass die Verstärkung der informellen Netzwerke und die „Willkommenskultur" ohne größere bürokratische Hürden für Forscher aus dem Ausland die wichtigsten Punkte sind. Zusätzlich wäre es eine gute Idee, brächte die Stadt Vertreter aus allen verschiedenen Bereichen der universitären Szene zusammen.
Sie haben und hatten auch Gastprofessuren in Japan und den USA - welche positiven Dinge können Sie dort über Graz erzählen?
Baumjohann: Zuerst einmal muss man festhalten, dass für einen Wissenschaftler die Einrichtung selbst entscheidend ist. Ob die Stadt selbst attraktiv ist, kommt erst an zweiter Stelle. Natürlich würde ich nicht überallhin gehen. Graz ist eine etwas kleinere Stadt, die jedoch über ein vergleichsweise sehr gutes Gesamtangebot verfügt.
Die Verkehrsanbindung heutzutage ist sehr gut, vor allem das Angebot des Flughafens ist wichtig. Wenn es den Flughafen mit den Verbindungen zu den Hubs Frankfurt und München nicht gäbe, wäre das ein immenser Nachteil. Innerhalb von Graz habe ich den Eindruck, dass ein Verkehrskonzept fehlt. Es gibt ein paar Besonderheiten: Zum Beispiel „Privatparkplätze" von Geschäften auf innerstädtischen Hauptstraßen, die den Verkehr behindern. Die andere Geschichte ist die Möglichkeit des Linksabbiegens auf Hauptdurchzugsstraßen. Das behindert den Verkehr ungemein und wäre in Städten wie München oder Wien schlicht undenkbar.
Graz ist jedenfalls kein Hindernis dafür, dass Sie und Ihr Institut in Ihrem Bereich der Weltraumforschung Weltspitze sein können...
Baumjohann: Nein. Ein grundsätzliches Problem kann die Deutschsprachigkeit sein. Menschen, die aus China oder anderen ferneren Ländern kommen, gehen lieber gleich in ein englischsprachiges Land, weil Englisch beherrschen sie ja schon als Wissenschaftssprache. Dieses Problem haben die Franzosen aber auch. Ein zweiter kritischer Punkt ist, dass viele Partner von Wissenschaftlern in einer neuen Stadt ebenfalls einen Job benötigen, Stichwort „Dual Career". Das ist einfacher in Millionenstädten; Graz ist jedoch durch seine Forschungsszene und die Industrie noch vergleichsweise gut aufgestellt.
Gibt es genügend englischsprachige Ausbildungsmöglichkeiten, vom Kindergarten bis zur Universität?
Baumjohann: Das Angebot an englischsprachigen Schulen ist sicher ein Pluspunkt für Graz. Gäbe es diese nicht, wären viele Mitarbeiter aus dem Ausland nicht hierher gekommen. Dieses Angebot sollte man unbedingt beibehalten und ausbauen.
Wäre es für Sie sinnvoll, wenn sich die Stadt auch stärker in der Wissenschafts-Vermittlung engagiert?
Baumjohann: Wir tun am Institut selbst schon sehr viel. Und es gibt Aktionen wie die „lange Nacht der Forschung", die Zugänge für eine breite Öffentlichkeit schafft - da kommen mehr als tausend Menschen an unser Institut und das Wissenschaftsressort der Stadt selbst unterstützt auch die „Grazer Weltraumtage"; insofern können wir uns nicht beklagen.
Als medienerfahrener „Wissenschaftler des Jahres" können Sie sicher auch beurteilen, ob sich die steirische Medienszene wesentlich von jener aus Wien und Restösterreich unterscheidet...
Baumjohann: Da gibt es meiner Erfahrung nach keine größeren Unterschiede. Natürlich gibt es etwas mehr Anfragen aus Wien, aber dort gibt es eben auch mehr Medien. Das Thema „Weltraum" interessiert halt die meisten Menschen. In dem Zusammenhang gibt es aber auch eine Bringschuld der Wissenschaftler.
Sie postulieren immer wieder, dass eine Theorie, die sich nicht einfach erklären lässt, auch keine gute und gut durchdachte Theorie ist...
Baumjohann: So ist es auch. Es ist natürlich ein wenig eine Generationenfrage und es gibt schon Menschen, die sich mit der Vermittlung schwer tun. Die Kollegen sind aber generell offener geworden. Und es gibt natürlich auch Kulturunterschiede zwischen dem deutschsprachigen und dem angloamerikanischen Raum. Ein positives Beispiel in Sachen Wissenschaftsvermittlung ist etwa Kollege Arnold Hanslmeier aus Graz.
Welchen Zeitaufwand investieren Sie in die Vermittlung Ihrer Arbeit?
Baumjohann: Das werden etwa zwei bis drei Stunden pro Woche sein, die ich dafür investiere. Und ich bin nicht der Einzige an unserem Institut. Von unseren etwa 100 Mitarbeitern sind etwa zehn Prozent wirklich sehr engagiert in der Vermittlung. Das wird vermutlich bei den meisten Einrichtungen so sein.
Zu einem Bereich würde ich Sie noch gerne befragen: Wie sind denn Ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Industrie?
Baumjohann: Wir bearbeiten mit der Weltraumforschung einen sehr speziellen Bereich. Die intensivste Zusammenarbeit haben wir mit einem Unternehmen in Wien. Und wir haben natürlich auch im Bereich der Messgeräteentwicklung Kontakte zu Produktionsfirmen zum Beispiel für Tests und mechanische Teile hier in Graz und der Steiermark. Unternehmen, die für die Automobilindustrie produzieren, können das auch für uns machen. Darüber hinaus kooperieren wir auch mit dem österreichischen Branchencluster Austrospace.
Vielen Dank für das Gespräch!